Pause

Dieser Blog macht eine Lebenskunstpause von unbestimmter Dauer.

Abwesend – Gedicht von Anni

Sie hätte Dir gefallen, Deine Beerdigung. –
Ein berauschender Blumenduftnebel
erfüllte die Aussegnungshalle.
Der helle Tanneholzsarg,
daneben dein fröhliches Gartenbild,
hätten bestimmt Deine Zustimmung gefunden.

Den alten Pfarrer Fleischmann hattest Du Dir gewünscht,
bei einem Abendessengespräch kürzlich,
als Du uns zum wiederholten Mal sagtest,
sehr müde und schwach,
dass Du nicht mehr willst.

Er hat Deine Messe gehalten,
Deine Hülle ausgesegnet,
gestützt auf seinen Stock!

Und sie waren alle da, alle.
Deine Neffen und Nichten,
Schwägerinnen, Taubenzüchter,
und Maria aus Forchheim.

Es hätte Dich ein wenig stolz gemacht:
Maggie kam extra wegen Dir aus Köln
und Bärbel aus München.

Und Tante Betty,
mit ihrem unverwechselbaren 83jährigen Schalk-Humor,
beflügelt von zwei Cola-Asbach,
hat die Jungen fasziniert, wie immer.
Du hättest Deine Freude gehabt.

Der Kuchen war reichlich, sei beruhigt,
die Brötchen lecker
und flink genug die Bedienungen,
Du wärst zufrieden gewesen.

Der harte Kern hat auf Dich angestoßen,
zu vorgerückter Stunde,
und scherzhaft debattiert
wessen Leichenschmaus wohl der nächste ist.

Wie gesagt, Mutter,
sie hätte Dir gefallen,
Deine Beerdigung!

Ferienfeste

Jedes Jahr wenn die Ferien anfingen haben wir ein gemeinsames Familienfest mit einem dicken Eis gefeiert.

Am Ende der Ferien dann bin ich mit jedem Kind einzeln in die Stadt gegangen, wir haben Schulmaterialien gekauft und haben dann zu zweit ein Fest gefeiert, indem wir in dem jeweiligen Kinderzimmer, nach unserer Shoppingtour ein Lieblingsmahl, das wir zusammen zubereitet haben, zelebrierten.

(Ina)

Festessen, verziert mit Perlen (Tischreden/Trinksprüchen)

Lebenskunstschlüssel 6: Feste zu wahren Festen machen, mit Perlen verziert

Die Tradition der Trinksprüche, bzw. Tischreden habe ich in Moskau kennen gelernt, als ich einige Jahre dort als Referent zu Gast war.

Ich weiß noch gut, als ich bei meinem Kollegen zum ersten Mal zu Hause zum Essen eingeladen war – wir waren zu viert, er und seine Frau, ich und meine Dolmetscherin. Er stand auf, hob das Glas (Wodka scheint dort nötig zu sein) und brachte auf mich einen ehrerbietenden Trinkspruch aus. Danach stießen wir mit unseren Gläsern an.

Mir wurde dann erklärt, dass das Brauch sei, um einander und andere zu ehren. Fünfzehn Minuten später erhob er sich wieder und brachte dieses Mal eine Tischrede über die Christliche Psychologie.

Das hat mich dann ermutigt zu meinem ersten Trinkspruch, in dem ich seine Frau würdigte.

Meine Dolmetscherin erklärte mir gerade, dass sich dieser Brauch nicht nur auf Anwesende beschränken muss, als mein Gastgeber meine Frau in Deutschland mit Worten rühmte und Gott für sie dankte. Wir stießen wieder an.

Ich fand das Ganze nicht peinlich oder künstlich, sondern es gab der gemeinsamen Mahlzeit etwas, wie soll ich es ausdrücken, etwas von Würde, die Welt außerhalb von uns kam in unsere kleine Welt.

Seit dieser ersten Erfahrung und noch weiterer in Moskau über die Jahre, habe ich mir angewöhnt auch hier bei uns bei Feiern ein bis zwei Trinksprüche bzw. Tischreden einzubauen, auch mit der Hoffnung andere ebenfalls zu motivieren, was auch schon ab und zu gelungen ist.

Wenn diese Reden ernst gemeint sind, waren sie eine Bereicherung, auflockernd und Horizont erweiternd.

Mein Meisterstück habe ich wohl an einer Geburtstagsfeier in Moskau erbracht, als ich so fünf Mal auf das Geburtstagskind eine Tischrede erbracht habe, immer wieder neue Aspekte an der Person, mit Wünschen verbunden, mir zum Thema nahm. Das schien sogar für meine russischen Freunde eine Horizonterweiterung gewesen zu sein.

Neues e-Magazin Gehaltvoll

 

Heute habe ich für unser neues e-Magazin die Beiträge zum Unterthema Kreativität festgelegt.

Das ist dabei herausgekommen:

Gehaltvoll (2)

Halten: Kreativität im Alltag

  • Es gibt immer sieben Lösungen: Appetit auf Kreativität
  • Drei „Herzens“Grundsätze für Kreativität und drei Schlüsselübungen
  • Bin ich für Kreativität geeignet? Interview mit einem Kognitionswissenschaftler
  • Meine Lieblingskreativitätstechnik und „Wie man einen Hauskreis kreativ auf den Kopf stellt.“
  • Ein Namenskünstler packt aus
  • Entfessele deinen Alltag
  • Jesus kreativ
  • Eine nette Geschichte: Die Zeitung

Alltägliche Kreativität

Lebenskunstschlüssel 5: Es gibt immer sieben Lösungen

Brauchen wir Kreativität nur dann, wenn wir keinen Weg oder keine Lösung sehen? Bevorzugen wir lieber die gewohnten Wege?

Gewohnheiten möchte ich nicht verurteilen, nein, im Gegenteil! Sie fallen in Regel leichter umzusetzen als was Neues. Sind also echte Ressourcen, vor allem dann wenn man nicht gerade 100% Kraft zu Verfügung hat. Sie versprechen Erfolg, motivieren uns also, und vieles mehr.

Trotzdem lohnt es sich immer wieder gewohnte Wege zu verlassen, nicht nur aus alltäglicher Abenteuerlust, sondern auch um schönere und/oder bessere Lösungen zu finden und dadurch neue Gewohnheiten zu erwerben.

Ein paar alltäglich Beispiele gefällig? Zunächst weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, alle alltäglichen Bereiche wie Kleidung, Essen, Körperpflege, Lektüre, Ruhezeiten, Einkaufsgewohnheiten, Medien, usw. bieten Stoff.

Drei Beispiele:

  • Nach Jahren habe ich den Ort des Gebets in unserer Wohnung für mich wo anders hin verlegt
  • Nach Jahren habe ich mir einen neuen Jahresterminkalender zugelegt, der anders aufgebaut ist.
  • Seit Jahresbeginn kochen wir vorrangig mit Wok, dadurch neue Gerichte.

Der Feind der Kreativität

Lebenskunstschlüssel 5: Es gibt immer sieben Lösungen

Kreativ ist das Überschreiten gewohnter Wege, hin auf neue, unbekannte Wege.

Was ist bei dieser Uhr anders?

Uhr            Das ist kreativ!

Oder: Dein Hauskreis, wie könnte dieser attraktiver gestaltet werden? Nicht nur mal die Leitung wechseln, oder die Lieder, das wäre ja nur ein anderer Weg, aber was wäre ein bisher unbekannter Weg?

Kreativ wäre hier, etwas zu tun, was mir jetzt noch nicht bewusst ist, aber dann plötzlich als neu entgegenspringt.

In meinem letzten Blogbeitrag ging es um die Aufgabe, sich ein Blatt Papier herzunehmen und einfach mal so 12 Möglichkeiten aufzuschreiben, was man jetzt gleich auch tun könnte. Ich glaube, diese Aufgabe führte nicht gerade zu Erfolgserlebnissen bzw. wurde als eine kreative Leistung erlebt.

Warum? Weil, so vermute ich es, ich eine wichtige Voraussetzung für Kreativität, die wirklich Neues schaffen will, verschwiegen hatte: Kritik ist der Feind der Kreativität

Wir dürfen nicht zu schnell bewerten. Erst einmal viele Lösungen, auch sinnlose, übertriebene, zu große, unrealistische, usw. produzieren. Irgendwann muss zwar auch bewertet werden, was umsetzbar erscheint, aber nicht zu früh.

Also, wer mag, bitte jetzt nochmals diese Aufgabe und sich das Bewerten zunächst verbieten.

„Wenn du jetzt diesen Blog gelesen hast und ihn schließt, was wirst du dann gewohnt tun? Egal was, ich schlage dir vor, nimm ein Blatt Papier und schreibe dir einfach mal so 12 Möglichkeiten auf, was du jetzt gerade auch tun könntest. Es werden dir 12 und mehr einfallen. Und wenn du Lust hast, dann wähle die aus, an die du vorher überhaupt nicht gedacht hast und tue sie.

Und danach klicke dich wieder auf dem Blog ein und schreibe einen Kommentar.“

 

Immer sieben Lösungen?

Im Januar der Lebenskunstschlüssel 5: Überzeugt zu sein, dass es immer sieben Lösungen gibt

Übertrieben? Immer sieben Lösungen? Ja und nein.

Übertrieben Ja, ja, weil es manchmal wirklich nicht sieben Lösungen gibt, sondern man froh ist, wenn man eine einzige wirklich sieht.

Übertrieben Nein, nein, weil es oft sieben und mehr Lösungen gibt. Außerdem will diese Behauptung einfach aufmerksam machen, nicht zu kurz oder zu hoffnungslos zu denken.

Übertrieben? Nein, leider gibt es oft zu viele Lösungen, die Angebote auf der Speisekarte, im Supermarkt, im Fernsehprogramm, Urlaubsziele, …

Diese Behauptung ist eine Einladung zu einem kreativen Lebensstil immer wieder mal über gewohnte Wege hinauszudenken.

Ein Beispiel? Wenn du jetzt diesen Blog gelesen hast und ihn schließt, was wirst du dann gewohnt tun? Egal was, ich schlage dir vor, nimm ein Blatt Papier und schreibe dir einfach mal so 12 Möglichkeiten auf, was du jetzt gerade auch tun könntest. Es werden dir 12 und mehr einfallen. Und wenn du Lust hast, dann wähle die aus, an die du vorher überhaupt nicht gedacht hast und tue sie.

Und danach klick dich wieder auf dem Blog ein und schreibe einen Kommentar. (Letzteres war nicht so ernst gemeint.)

Ist diese Geschichte nicht horizonterweiternd?

Der gefürchtete Feind

In einem fernen und vergessenem Land lebte einmal ein König, der seine Macht sehr genoss. Es genügte ihm nicht, die Macht allein zu besitzen. Er wollte außerdem von jedermann für seine Macht bewundert werden. So fragte er seine Höflinge und Dienstboten immer wieder, wer der Mächtigste im ganze Land sei.

Und stets bekam er die gleiche Antwort zu hören:

„Hoheit, Ihr seid gewiss sehr mächtig, aber Ihr wisst, dass der Weise über eine Macht verfügt, wie sie außer ihm kein zweiter besitzt. Er kann in die Zukunft sehen.“

Der König war sehr eifersüchtig auf den Weisen im Lande, das ihm nicht nur der Ruf voraus eilte, ein guter und großzügiger Mann zu sein, sondern weil er zudem vom gesamten Volk geliebt, bewundert und dafür gefeiert wurde, dass es ihn gab und dass er mitten unter ihnen weilte.

All dies galt für den König nicht..

Ständig musste er demonstrieren, dass er es war, der das Land beherrschte, und wahrscheinlich war gerade das der Grund dafür, dass er weder gerecht noch ausgeglichen und alles andere als gütig war..

 

Eines Tages, als er es satt hatte, dass die Leute ihm ständig erzählten, wie einflussreich und liebenswürdig der Weise war, vielleicht auch angestachelt von jener Mischung aus Eifersucht und Ängsten, die aus dem Neid erwachsen, heckte der König einen Plan aus: Er würde ein großes Fest geben, zu dem auch der Weise eingeladen wäre. Nach dem Abendessen würde er um die Aufmerksamkeit der Anwesenden bitten. Er würde den Weisen in die Mitte des Saales rufen und ihn vor den versammelten Höflingen fragen, ob er sicher sei, die Zukunft voraussagen zu können. Der Geladenen hätte zwei Möglichkeiten: es abzustreiten und somit die Wertschätzung der anderen aufs Spiel zu setzen, oder es zu bestätigen. Dann würde der König ihn bitten, seinen eigenen Todestag vorauszusagen. Und ganz egal, wie dessen Antwort ausfiele, in genau diesem Moment würde der König seinen Dolch zücken und ihn töten. Mit einem Schlag hätte er somit zwei Dinge erreicht: Er hätte sich erstens ein für alle Mal seines ärgsten Feindes entledigt, und zweitens hätte er bewiesen, dass der Weise keineswegs Einblick in die Zukunft habe, da er sich in seiner Voraussage offensichtlich geirrt hätte. In einer einzigen Nacht hätte es mit dem Weisen und dem Mythos seiner Macht ein Ende gefunden.

Sofort begann man mit den Vorbereitungen, und schon bald war der große Festtag gekommen.

Nach einem ausgiebigem Festmahl ließ der König den Weisen in die Saalmitte rufen und richtete das Wort an ihn:

„Stimmt es, dass du in die Zukunft sehen kannst?“

„Ein wenig“ sagte der Weise.

„Dann beweise es mir“, fuhr der König fort, „Wann wirst du sterben? Welcher Tag ist dein Todestag?“

Der Weise lächelte, schaute dem König in die Augen und blieb die Antwort schuldig.

„Was ist, weiser Mann?“ sagte der König mit einem Lächeln. „Weißt du es etwa nicht? Kann es sein, dass du gar nicht in die Zukunft schauen kannst?“

„Das ist es nicht“, antwortete der Weise. „Nur getraue ich mich nicht Euch zu sagen, was ich weiß.“

„Wie, du getraust dich nicht?“ sagte der König. „Ich bin dein Gebieter, und ich befehle dir, mir zu antworten. Das Königreich muss unbedingt über das Ableben seiner wichtigsten Persönlichkeit informiert sein. Also antworte mir. Wann ist mit dem Tod des Weisen zu rechnen?“

Nach langem Schweigen fasste der Weise ihn ins Auge und sprach:

„Das Datum kann ich nicht genau nennen, was ich aber sagen kann ist, dass der Weise genau eine Tag vor dem König sterben wird.“

Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Ein Raunen durchlief die Reihen der geladenen Gäste.

Der König hatte stets behauptet, dass er weder den Weisen noch ihren Voraussagen Glauben schenkte, und dennoch wagte er es nicht, den Weisen zu töten.

Er ließ die Arme sinken und verstummte.

Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. Ihm wurde klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Der Hass war ihm ein schlechter Ratgeber gewesen.

„Hoheit Ihr seid blass geworden. Was ist mit Euch?“ fragte der Gast.

„Mir ist nicht wohl“, antwortete der Monarch. „Ich werde mich auf mein Zimmer zurückziehen. Ich danke dir, dass du meiner Einladung gefolgt bist.“

Und mit einem flüchtigen Winken, ohne jedes weiteres Wort, wandte er sich ab und machte sich auf den Weg zu seinen Gemächern.

Er dachte, dass der Weise ein gerissener Bursche sei. Denn er hatte die einzige Antwort gegeben, die seinen Tod verhindern konnte.

Hatte er sein Ableben tatsächlich vorausgesehen?

Sicher, der Weise konnte sich in seiner Prophezeiung irren. Aber was, wenn sie zuträfe?

Der König rang um Fassung.

Er machte auf dem Fuß kehrt und sage laut:

„Du bist im ganzen Königreich für deine Klugheit bekannt, weiser Mann, ich bitte dich darum, die heutige Nacht im Palast zu verbringen. morgen früh will ich dich in einigen wichtigen Entscheidungen zu Rate ziehen.“

„Das wäre mir eine große Ehre, Majestät“; sagte er Aufgeforderte und verneigte sich tief.

Der König gab der Leibwache den Befehl, den Weisen in das Gästezimmer des Palastes zu geleiten, sich vor seiner Tür zu postieren und dafür Sorge zu tragen, dass ihm nichts zustieße.

 

In dieser Nacht fand der Herrscher keinen Schlaf. Es trieb ihn die Sorge um, der Weise habe das Essen schlecht vertragen oder könnte sich im Schlaf verletzen, oder es sei sein letztes Stündlein gekommen.

Am frühen Morgen klopfte der König an der Tür seines Gästezimmers an.

Noch niemals zuvor hatte er jemand bei seinen Entscheidungen um Rat gebeten, aber sobald der Weise ihn empfinge, würde er ihn fragen, ob…. Er brauchte dringend einen Vorwand.

Und der Weise, der ein Wissender war, gab ihm eine korrekte, geistreiche   und großmütige Antwort.

Ohne recht auf die Antwort zu hören, lobte der König die Klugheit seines Gastes und bat ihn, noch einen Tag länger zu bleiben, angeblich, um ihn in einer weiteren Frage „zu konsultieren“. (Offenbar wollte der König nur sicherstellen, dass ihm nichts Böses widerfuhr.)

Der Weise, von einer inneren Freiheit erfüllt, wie sie nur die Erleuchteten erreichen, willigte ein.

Von da an machte er König Tag für Tag, ob morgens oder abends, auf den Weg zum Zimmer des Weisen, um seinen Rat einzuholen und eine nächste Sitzung für den kommenden Tag zu vereinbaren.

Es dauerte nicht lange, da wusste der König, dass die Rede des Weisen Hand und Fuß hatte, und er selbst merkte kaum, wie sie in fast jede seiner Entscheidungen einfloss.

Monate vergingen. Jahre.

Und es kam, wie es immer kommt, wenn sich ein Unwissender in der Nähe eines Wissenden aufhält: er wird selbst ein bisschen wissender.

Von Tag zu Tag wurde der König ein wenig gerechter.

Schon war alles Despotische und Autoritäre von ihm abgefallen. Seine Machtgelüste ließen nach, und allmählich verzichtete er auf alle Machtspielchen.

Er erfuhr, dass auch die Milde ihre Vorteile hatte, und sein Regierungsstil wurde weiser und gütiger.

Und so geschah es, dass sein Volk ihn zu lieben begann, wie nie zuvor.

 

Der König suchte den Weisen nun nicht mehr auf, um sich seines Wohlergehens zu vergewissern, sondern um von ihm zu lernen, seinen Rat einzuholen oder einfach nur, um mit ihm zu plaudern.

Und so hatte sich zwischen dem König und dem Weisen allmählich eine echte Freundschaft entwickelt.

Bis eines Tages, mehr als vier Jahre nach der besagten Abendeinladung, der König sich plötzlich an etwas erinnerte.

Er erinnerte sich daran, dass der Mensch, den er inzwischen als seinen besten Freund erachtete, einst sein ärgster Feind gewesen war.

Er erinnerte sich an den Plan, den er ausgeklügelt hatte, um sich seiner zu entledigen.

Und es wurde ihm klar, dass er dieses Geheimnis nicht länger für sich behalten konnte, ohne sich wie ein Verräter vorzukommen.

Der König fasste sich ein Herz und suchte das Zimmer des Weisen auf. Er klopfte an und gleich beim Eintreten sagte er:

„Mein Bruder, da gibt es etwas, das mir auf der Seele liegt.“

„Sprich“, sagte der Weise, „und erleichtere dein Herz.“

„An dem Abend, als ich dich in den Palast eingeladen und nach deinem Todestag befragt habe, ging es mir in Wahrheit um alles andere als um deine Zukunft. Ich hatte mir vorgenommen, dich zu töten, wie auch immer deine Antwort lauten würde. Dein unerwarteter Tod sollte deinen Ruf als Wahrsager in Frage stellen. Ich hasste dich, weil alle dich liebten…. Dafür schäme ich mich sehr.“

Der König tat einen tiefen Seufzer und fuhr fort: „An jenem Abend wagte ich es nicht, dich zu töten, und jetzt, da wir Freunde geworden sind, mehr als Freunde, Brüder, bestürzt mich der Gedanke daran, was ich verloren hätte, hätte ich meinen Plan ausgeführt. Ich kann dir meine Niedertracht nicht länger verschweigen. Ich muss dir das alles sagen, damit du mir entweder verzeihst oder mich verachtest. Aber ich will, dass du die Wahrheit erfährst.“

Der Weise sah ihn an und sagte:

„Es hat lange gedauert, bis du mir das sagen konntest. Aber dennoch freut es mich, dass du es getan hast, denn das einzige, was ich dazu zu sagen habe, ist, dass ich es wusste. Als du mir die Frage gestellt und dabei den Griff deines Dolches gestreichelt hast, war deine Absicht so klar, dass man kein Wahrsager zu sein brauchte, um zu erahnen, was du vorhattest.“

Der Weise lächelte und legte dem König die Hand auf die Schulter.

„Zum angemessenen Dank für deine Aufrichtigkeit muss ich dir gestehen, dass auch ich dich belogen habe. Ich muss zugeben, dass ich die absurde Geschichte von wegen meines Todes vor dem deinigen nur erfunden habe, um dir eine Lektion zu erteilen. Eine Lektion, die du bis zum heutigen Tag nicht hast verstehen können. Vielleicht ist dies das Wichtigste, das ich dir beigebracht habe:

 

„Wir gehen durch die Welt mit einem Hass und einer Ablehnung für gewisse Wesenszüge, die wir bei anderen erkennen, bisweilen sogar bei uns selber feststellen, und die wir für verachtenswert, bedrohlich und unnütz halten. Erst nach einiger Zeit werden wir gewahr, dass es kaum möglich ist, auf alle diese Dinge zu verzichten, die wir in manchen Momenten ablehnen.

Dein Tod, mein lieber Freund, wird genau an dem dafür bestimmten Tag eintreten, und nicht eine Minute vorher. Du musst wissen, dass ich ein alter Mann bin. Mein Stündlein wird bald schlagen. Für dich besteht nicht der geringste Anlass, zu glauben, dass dein Abgang an den meinen geknüpft ist. Unsere Leben sind miteinander verbunden, nicht aber unsere Tode.“

Voller Freude über das Vertrauen, das sie beide in die gemeinsam begründete Freundschaft hatten, fielen sich der Weise und der König in die Arme.

Die Legende besagt, dass auf rätselhafte Weise in dieser Nacht der weise Mann im Schlaf verstarb.

Der König erfuhr die schlechte Nachricht am folgenden Tag. Sie stürzte ihn in große Trauer. Es war nicht die Angst vor seinem eigenen Tod. Der Weise hatte ihn gelehrt, sich nicht an sein Erdendasein zu klammern.

Der König trauerte um den Tod seines Freundes.

Welch seltsamer Zufall hatte dafür gesorgt, dass der König ihm noch in der letzten Nacht sein Herz ausschütten konnte?

Vielleicht hatte dies auf unergründlichem Weg der Weise bewirkt, um dem König die Angst zu nehmen, am Folgetag zu sterben.

Es war ein letztes Zeichen der Zuneigung gewesen, ihn von seinen alten Ängsten zu befreien.

 

Man sagt, dass der König von eigener Hand im Garten das Grab für seinen Freund, den Weisen, aushob, direkt unter seinem Fenster.

Dort beerdigte er den Leichnam, und den Rest des Tages verblieb er neben dem Erdhügel und weinte, wie nur jemand weinen kann, der einen sehr geliebten Menschen verloren hat.

Kurz nach Einbruch der Nacht begab sich der König wieder in seine Gemächer.

 

(aus: Geschichten zum Nachdenken von J. Bucay)

Die Kunst des Wartens als Horizonterweiterung

Warten = Entbehren in Hoffnung

Die folgende zwei Gedanken aus einem Adventsbeitrag von Freunden stellten für mich wirklich eine Horizonterweiterung dar. Was neue Wortklärungen vermögen!

„Wer nicht die herbe Seligkeit des Wartens, das heißt des Entbehrens in Hoffnung, kennt, der wird nie den ganzen Segen der Erfüllung erfahren.“

„Auf die größten, tiefsten, zartesten Dinge in der Welt müssen wir warten, da geht‘s nicht im Sturm, sondern nach den göttlichen Gesetzen des Keimens und Wachsens und Werdens.“